HUBER.HUBER

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huber.huber and the authors

Break On Through to the Other Side (Link Show Dienstgebäude, Zürich)

Dienstgebäude, Zürich
30. September bis 5. November 2011

Curator: Kathleen Bühler

In der aktuellen Ausstellung im Dienstgebäude zeigt das Künstler-Brüderpaar huber.huber (Markus und Reto Huber) neue Installationen, Objekte und Kohlezeichnungen zusammen mit einer Auswahl von farbenprächtigen Collagen sowie einem bisher noch nie gezeigten Videofilm. Der Titel des psychedelischen Rocksongs Break On Through to the Other Side (1966) von The Doors gibt dazu das anspielungsreiche Motto vor. Galt in den Sechziger Jahren die mit Hilfe von Drogen herbeigeführte bewusstseinserweiternde Erfahrung als „Durchbruch zur anderen Seite“ erscheint sie im Werk der 1975 geborenen Künstler als allgemeine Aufforderung, aus Denkschemata auszubrechen und neue Zusammenhänge zu erkennen. Passend dazu verkörpern ihre aus ethnographischen und naturwissenschaftlichen Illustrationen zusammenge-setzten Collagen den wahnwitzigen Versuch, die Welt neu zu ordnen, und unterziehen dabei bestehende Ordnungssysteme einer neuen Sichtung. In analytischer und zugleich poetischer Manier zeigen huber.huber, wie die Welt im Mikrouniversum auch noch aussehen könnte und führen die oftmals menschen- und naturverachtende Logik wissenschaftli-cher Publikationen ins Absurde. In der Ausstellung wird die umfangreiche Werkgruppe in Beziehung gesetzt zur Ver-messenheit des Menschen, sich schöpfergleich zu betätigen, indem er Tiere und Pflanzen hemmungslos seinen Vorstel-lungen anpasst. Auch die Kohlezeichnungen der Serie Survival of the Fittest zeigen Kanarienvögel aus sogenannten Positurzuchten, welche wegen ihres ausgefallenen Gefieders nur in Gefangenschaft nicht jedoch in der freien Wildbahn überleben können. Ästhetische Faszination und wissenschaftskritische Erkenntnis treten dabei in ein provokatives Spannungsverhältnis: Die nach allen Regeln der Kunst „schön“ gezeichnete Arbeit zeigt ein nicht ganz so schönes The-ma. Die visuelle Attraktivität vermag fast von der Absurdität und Selbstherrlichkeit dieser Form von Eingreifen in die Natur abzulenken. Nur die Grösse der Motive und die düstere Schwarz-Weiss-Zeichnung verraten ein gewisses Unbehagen, das den Grundton der Werke bildet.

Die Neigung zur Ambivalenz gehört zu den Strategien des Künstlerpaares. Direkt unter der schönen und oft heiteren Oberfläche wird scharf analysiert und polemisiert. Dennoch liegt huber.huber simples moralisches Urteilen fern. Eher bringen sie den Machbarkeitswahn des Menschen mit seiner Sehnsucht nach Unsterblichkeit in Verbindung, seinem Wunsch, der Kurzlebigkeit unserer Zeit etwas Beständiges entgegenzusetzen. Das geschieht seit Jahrhunderten, indem Forschung getrieben, der Reichtum der Erde in Sammlungen dokumentiert oder der Versuch unternommen wird, den Tod durch medizinische und kosmetische Massnahmen möglichst lange hinauszuschieben. Der Jungbrunnen erscheint als mythischer Vorläufer der heutigen Wellness- und Anti-Aging-Industrie, welche nach wie vor mit dem Versprechen ewiger Jugend wirbt. huber.huber interpretieren das allegorische Motiv als Zimmerbrunnen. Der vermeintliche Naturstein-Brunnen stellt sich als Imitat heraus und das sprudelnde Quellwasser entpuppt sich als luxuriöses Mineralwasser. Es erschliessen sich Parallelen zwischen dem mythischen und dem zeitgenössischen „Zauberwasser“. Die Wirkkraft des überteuerten Mineralwassers liegt schliesslich genauso im Bereich des Symbolischen wie die Vorstellung eines legendä-ren Brunnens, der alle verjüngt. Die zum Objekt gehörende, alte Schweizer 500er Note mit der Abbildung eines Jungbrunnens wirft die Frage nach dem Preis des Ewigen Lebens auf.
Den Wunsch nach Bewahren oder sogar Übertrumpfen natürlicher Schönheit nehmen die Phoenixserie und das Objekt Human Made aufs Korn. Phoenix zeigt in der Art klassischer Schaukästen ausgestopfte exotische Vögel in kunstvoll ar-rangierten Posen. Statt auf einem Ast oder Stein sitzen die farbenprächtigen Vögel auf vertrockneten, ausgezerrten Sperlingen. Human Made ist eine Neuschaffung aus menschlicher Hand: der gezüchtete dreifach-hybrid Schmetterling auf synthetisch hergestelltem Kristall wird deshalb auf einer Spiegeldrehscheibe als besonderer Fetisch präsentiert.
In ihrer Kunst ahmen huber.huber wissenschaftliche Bestrebungen nach und folgen dabei einem alten Muster. Denn hinter dem Sammel- und Machbarkeitswahn, den die Künstler persiflieren, treten barocke und antike Konzepte wie Vanitas (lat. „leerer Schein“, „Nichtigkeit“), Memento Mori (lat. „bedenke den Tod“) oder Hybris (griech. „Vermessen-heit“) in Erscheinung. Alle drei verweisen auf die Grenzen dessen, was der Mensch erreichen bzw. verkraften kann: Vanitas steht für die menschliche Eitelkeit, welche die Erkenntnis verunmöglicht, dass das von Mensch Geschaffene nichtig bleiben wird im Vergleich zum ewigen Universum, während Memento Mori den Menschen an die Grenzen allen Tuns, nämlich den eigenen Tod erinnert. Hybris warnt den Menschen davor, sich gottgleich aufzuführen, da auf alle Grenzübertretungen eine schreckliche Bestrafung folgt. Anders als in der Antike oder im Barock bedroht das menschliche Tun inzwischen die „gottgegebene“ Schöpfung und scheint das Verfallsdatum unserer Welt näher zu rücken. Nun erscheint die Besinnung auf Angemessenheit und Bescheidenheit aufgrund des bedrohten natürlichen Gleichgewichts ratsam; als Handlungsmaxime in einer aus dem Gleichgewicht geratenen Wirklichkeit.

Die Installation Myrrha bestehend aus drei Astobjekten mit menschlichen Haaren auf Spiegelsockeln benennt das Prinzip der Hybris am deutlichsten. Dem antiken Mythos zufolge wurde die junge Frau Myrrha zur Strafe für die inzestuöse Verführung ihres Vaters in einen Baum verwandelt. Ihr „unangemessenes“ Verhalten führte zu göttlicher Bestrafung, band die Frau dafür wieder in die natürliche Schöpfung ein. Einzige Möglichkeit gemäss antikem Verständnis, gar nicht erst in die Situation einer möglichen Bestrafung zu kommen, liegt in der Selbsterkenntnis. „Erkenne dich selbst“ hiess die in Stein gemeisselte Aufforderung beim Orakel von Delphi und wirkt heute noch im Prinzip Selbstverantwortung nach. In der Ausstellung führt deshalb ein direkter Weg von der Installation Myrrha zum Spiegelobjekt Blinder Spiegel beim Ausgang.
Die Ausstellung – kuratiert von Kathleen Bühler – folgt wie die Werke selbst, einer klassischen Vorlage und interpretiert sie auf zeitgenössische Weise. Dabei stand die barocke Wunderkammer Pate, in der die einzelnen Werke wie Trophäen inszeniert werden, die durch die präzise Platzierung miteinander in Beziehung treten und über unterschiedliche Medien und Formensprachen die gestalterischen und inhaltlichen Gemeinsamkeiten sichtbar machen. Den allegorischen Auftakt bildet der Videofilm Non-REM, der eine städtische Strassenszene als farbintensive Spiegelung auf einer Seifenblase präsentiert. Die Spiegelung lädt sinnbildlich ein zur Reflexion und verweist zugleich auf Flüchtigkeit und Illusion. Alle verkörpern wichtige Aspekte klassischer Vanitas-Motive, die vom dichten und gleichförmig dahin strömenden Soundteppich von Michael Bucher getragen werden. Der Videofilm beginnt die Ausstellung und legt zugleich den Grundton für den Rundgang.

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